„Millionen nur für Planungen aus dem Fenster geworfen“
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  Spekulationen? Nicht sein Ding. Dafür ist FDP-Chef Holger Steinert zu lange im Geschäft. Er nimmt zwar zur Kenntnis, dass es in den Reihen der Koalition bei den Stadtratswahlen nicht rund gelaufen ist. An der Diskussion, wie viele letztlich aus der Reihe getanzt sind und was das für Folgen haben könnte, will er sich nicht beteiligen.

In der Politik ist es manchmal wie im Fußball. Ein paar Wochen nach einem knappen 1:0-Erfolg interessiert es keinen mehr, wie die drei Punkte eingefahren wurden. Ähnlich verhält es sich für Steinert mit der Wiederwahl von Erstem Stadtrat Helmut Sachwitz. "Wir haben gewählt. Wir haben ein Ergebnis. Das ist bindend", betont er im Sommergespräch mit dem Bergsträßer Anzeiger.

Die Stadtratswahlen

Seiner Meinung nach müssen die Parteien, die ihren Kandidaten durchbringen wollen, auch für eine Mehrheit sorgen. Das hat allerdings weder bei Stadtrat Adil Oyan (Grüne) vor eineinhalb Jahren noch bei Sachwitz (CDU) überragend gut funktioniert. Die Fast-Blamage des Ersten Stadtrats wertet der FDP-Mann als Retourkutsche für den knappen Ausgang der Oyan-Wahl.

Für Steinert kein Grund, Ursachenforschung zu betreiben. Vorbauen will er jedoch einer weiteren Legendenbildung. Weder er noch seine Kollegin Hildegard Kaplan-Reiterer hätten durch absichtliche Abwesenheit die Amtseinführung des Grünen-Stadtrats ermöglicht. Dieser Vorwurf geistert seit Ende 2011 durch den kommunalpolitischen Raum. Kaplan-Reiterer fehlte, weil sie sich auf einem Ärztekongress befand. "Das war seit Monaten bekannt." Und er selbst habe die Sitzung früher verlassen müssen, um den Urlaubsflieger noch zu erwischen.

"Wären wir schneller zur Abstimmung gekommen, hätte ich noch teilnehmen können. Wobei meine Stimme keinen Unterschied gemacht hätte", stellt Steinert klar - und will es dabei auch bewenden lassen.

Der Haushalt

Deutlich mehr Redebedarf meldet er beim Thema Haushalt an. In der Zeit der schwarz-grünen Koalition habe sich der Schuldenstand verdoppelt. "Eine bittere Bilanz. Es ist eine Minute vor Zwölf. Man kann nicht immer nur mit dem Finger auf andere zeigen", sieht er die Probleme mit den Finanzen durchaus hausgemacht. Als Beispiele nannte er teure Prestigeobjekte sowie hohe Planungs- und Beratungskosten für Vorhaben, die mitunter gar nicht umgesetzt wurden. Dafür seien Millionen draufgegangen. Die Vorgehensweise der Verantwortlichen im Rathaus sei dabei nahezu immer die gleiche. "Erst werden Projekte publikumswirksam angekündigt. Aber bis endgültig was passiert, wird nur ein großes Theater veranstaltet und mehrfach umgeplant."

Das Güterbahnhofgelände ist für Steinert so ein Fall. Im März 2006 angekündigt, stehe dort immer noch kein Stein auf dem anderen. Diese lange Verfahrensdauer koste Zeit, Nerven und Geld. Die Marktplatz-Gestaltung fällt für ihn in eine ähnliche Kategorie. Eine Million nur für die Optik sei zu teuer. Deshalb wurde das Vorhaben auch auf Eis gelegt. "Bis die Koalition das eingesehen hatte, wurden über 70 000 Euro an Planungskosten in den Wind geschossen. Vermutlich sind es sogar über 100 000", kritisiert Steinert.

Dass es auch anders geht, lasse sich an der Fortsetzung der Westtangente festmachen. Die Planung des dritten Abschnitts der Westumfahrung verlief gradlinig - was der FDP-Chef darauf zurückführt, dass Land und Bund als Beteiligte entsprechenden Druck ausgeübt haben.

Ein ausgeglichener Haushalt muss höchste Priorität genießen. Das Schlimmste, was der Stadt passieren könnte, wäre der Verlust der Finanzhoheit. "Andere Kommunen erleben das schon. Die müssen sich bildlich gesprochen jeden Bleistift von der Kommunalaufsicht genehmigen lassen." Deshalb müssten die Schulden auf ein geringes Maß heruntergefahren und die Zinsbelastung gesenkt werden. "Was wir den Banken geben müssen, das tut mir jedes Jahr weh."

Den Vorwurf, die Opposition wolle die Stadt kaputtsparen, weist er energisch von sich. Man müsse aber bei größeren Projekten Abstriche machen und Maßnahmen auf den Prüfstand stellen.

Das Bürgerhaus

Auf dem Prüfstand steht auch die Zukunft des Bürgerhauses. Dass etwas gesehen muss, sei klar. Acht Millionen Euro für einen Neubau - das hält Steinert für indiskutabel. Bei maximal 3,5 Millionen Euro für eine Sanierung zieht er die persönliche Schmerzgrenze. Damit könne man viel machen. Eine Luxus-Modernisierung für mehr als sieben Millionen Euro kommt für ihn ebenso wenig infrage wie ein Abriss. "Dann müssten sie fast jedes Haus in Bensheim abreißen, weil es älter als 30 Jahre ist."

Immerhin habe sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Hoffartgelände kein Filetstück ist, wie es aus dem Rathaus immer beworben wurde. Sollte sich ein Investor mit einem vernünftigen Konzept finden, rät Steinert zum Verkauf des Areals.

Der Hessentag

Das Landesfest wird für Bensheim eine verdammt teure Angelegenheit, prophezeit der 55-Jährige. Der Optik halber habe man im Finanzrahmenplan den städtischen Zuschuss von sechs auf 4,9 Millionen Euro gesenkt. "Ich bin skeptisch, ob das reicht", spielt er auf verdeckte Kosten an. Als im März 2010 der Grundsatzbeschluss fiel, sei man von maximal zwei Millionen Euro ausgegangen. Zumal Bürgermeister Thorsten Herrmann ("Zufällig fällt der Hessentag in sein Wiederwahljahr") damals höhere Defizite praktisch ausgeschlossen habe.

Steinert stellte klar, dass die FDP nicht gegen den Hessentag sei. Man habe nur die Reißleine ziehen wollen, als die Zahlen auf dem Tisch lagen. Ein Antrag der Liberalen auf Rückgabe der Ausrichtung scheiterte. Jetzt müsse man das Beste daraus machen. Wobei er nicht davon ausgeht, dass die Mehrheit der Bensheimer Kaufleute über die Maßen profitieren wird - im Gegenteil. "Wenn die Leute hier zehn Tage Party machen, haben sie andere Sorgen, als sich in einem Fachgeschäft beraten zu lassen."

Gleiches gelte für die Gastronomen. Wenn sich die Besucher auf der Festmeile am Berliner Ring aufhalten, werden sie nicht zum Essen in die Innenstadt kommen. Es sei ein Märchen zu glauben, dass der Hessentag ein Geldregen für der Stadt ausschütte. Stichwort Festmeile: Die Entfernung zwischen Berliner Ring und Fußgängerzone hält Steinert für zu groß, auf der Innenstadt liege zu wenig Gewicht.

Trotz allem hofft er, dass der Hessentag ein Erfolg wird und sich die finanziellen Belastungen im Rahmen halten. Positiv bewertet der Fraktionsvorsitzende die neuen Kreisel am Berliner Ring, die durch das Landesfest schneller umgesetzt werden konnten. Kreisverkehre habe die FDP bereits vor 20 Jahren gefordert.

Die Bürgermeisterwahl

Forderungen in Sachen Bürgermeisterwahl formulierte Steinert allerdings nicht. Tritt Bürgermeister Herrmann erneut an? Wann fällt die CDU eine Entscheidung? Ein schwieriges Thema, findet der langjährige Kommunalpolitiker - und letztlich die Sache der Christdemokraten. Solange es keine offizielle Stellungnahme gibt, sei alles pure Spekulation.

Ob die Liberalen einen Bewerber ins Rennen schicken, steht noch nicht fest. "Wenn wir uns dazu entschließen, dann wird es wie 2002 ein qualifizierter und kompetenter Kandidat sein. Niemand, der nur zum Schaulaufen antritt", legte sich der FDP-Mann fest. Vor elf Jahren warf Dr. Dierk Molter seinen Hut in den Ring. Er erhielt 7,9 Prozent der Stimmen.

Das Fazit

Das Duo Holger Steinert und Hildegard Kaplan-Reiterer bildet die kleinste Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung. Das heißt aber nicht, dass sie nicht ordentlich Wirbel machen können, wenn es angebracht ist. Der FDP-Chef ist lange genug dabei und weiß nur zu genau, in welche Wunden er Salz streuen kann. Manchmal ist es allerdings ein schmaler Grat zwischen harter Kritik und überzogenen Angriffen, auf denen der gewiefte Rhetoriker Steinert wandelt.

Um aus der Bürgermeisterwahl eine echte Wahl mit Alternativen zu machen, wäre es kein Fehler, wenn die Liberalen einen passenden Bewerber aufstellen könnten.

© Dirk Rosenberger, Bergsträßer Anzeiger, Freitag, 02.08.2013

 
 
 
 
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