Ab jetzt zählen nur noch Fakten
zurück
 
     
  Bensheim. Fakten statt Emotionen: So hatte der Magistrat sein Flugblatt zum Bürgerentscheid überschrieben - und sich harsche Kritik der Opposition eingehandelt. Anlass waren die viel diskutierten Fördermittel in Höhe von drei Millionen Euro. Ob es das Geld nur für einen Neubau auf dem Hoffartgelände - so sehen es die Befürworter - oder auch für eine Sanierung - so argumentieren die Bürgerhaus-Bewahrer - geben kann, war eines der zentralen Themen vor der Abstimmung am Sonntag.

In der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag im Kolpinghaus setzten sich die Fraktionen etwas mehr als eineinhalb Stunden mit dem Bürgerentscheid, dem Vorgehen der Rathausspitze und dem Ergebnis des Plebiszits auseinander. Der Neuigkeits- und Nachrichtenwert hielt sich wie erwartet in Grenzen. Die Opposition prangerte das ihrer Meinung nach unfaire Vorgehen der Rathausspitze an, monierte Taschenspielertricks im Umgang mit den Zuschüssen sowie dem Gestaltungswettbewerb. Dabei sei es nicht um ein Gesamtkonzept für den Beauner Platz, sondern einseitig um einen Neubau gegangen. Ein SPD-Antrag, die Zahlen auf dem Flugblatt des Magistrats zu korrigieren, fand wenig überraschend keine Mehrheit.

Die schwarz-grüne Koalition hielt dagegen, sprach von einem demokratisch zustande gekommenen Ergebnis, das man zu akzeptieren habe und verwahrte sich dagegen, dass der Bürgerentscheid eine Generalabrechnung mit Bürgermeister Thorsten Herrmann und Erstem Stadtrat Helmut Sachwitz gewesen sei. Wie mehrfach berichtet, votierten am Sonntag 67,7 Prozent der Bensheimer für Sanierung und Erhalt, 32,3 Prozent dagegen. Das Quorum wurde um 115 Ja-Stimmen knapp verfehlt. Die Wahlbeteiligung lag bei 36,6 Prozent. Die Konsequenz daraus: Der Bürgerentscheid besitzt keine bindende Wirkung, allerdings förderte er ein eindeutiges Meinungsbild zutage. Die Stadtverordneten müssen dabei nicht nur zwischen Sanierung und Neubau entscheiden, sondern auch, wie sie mit dem Ansinnen von 7658 Bensheimern umgehen, die sich mit ihrer Stimme für einen Erhalt des 70er-Jahre-Baus eingesetzt haben.

Dr. Wolfgang Johannsen (SPD): "Sie haben plump und absichtlich getäuscht. Sie haben mit Taschenspielertricks gearbeitet. Der Bürger wurde nach Strich und Faden eingeseift. Fakten aus dem Rathaus müssen eine gewisse Qualität haben."

Tobias Heinz (CDU): "Auch von der BI wurde ein Flugblatt verschickt. Der Bürger hatte die Möglichkeit, sich selbst seine Meinung zu bilden. Rückblickend müssen wir uns alle fragen, ob im Vorfeld des Bürgerentscheids alles so abgelaufen ist, wie man sich das unter Bürgerbeteiligung vorstellt. Wir müssen uns alle die Frage stellen, ob das so in Ordnung war. In der Zukunft werden wir sachlicher mit dem Thema umgehen."

./...

Franz Apfel (BfB): "Trotz falscher Zahlen aus dem Magistrat ist diese Niederlage bei der Abstimmung zustande gekommen. Bürgermeister Herrmann und Erster Stadtrat Sachwitz haben die Bürger mit dem Zuschuss getäuscht. Die Arbeit der Hauptamtlichen war grottenschlecht. Sie sind beim Bürgerentscheid abgestraft worden. Die CDU hat unter Herrmann und Sachwitz verlernt, wie Bensheim tickt. Es liegt an der Koalition, die richtigen Schlüsse aus der Wahlumfrage zu ziehen."

Günther Müller-Falcke (FWG, zu Beginn der Diskussion): "Es gäbe noch so viel zu sagen. Wir sollten aber einen Neuanfang wagen. Und die Keule erst rausholen, wenn es wieder in die falsche Richtung läuft. Lassen sie uns die Emotionen herunterfahren. Wir müssen zu einem Konsens kommen, und der kann nur die Sanierung des Bürgerhauses zum Ziel haben." Günther Müller-Falcke (am Ende der Diskussion): "Es ist deprimierend, wie hier diskutiert wird."

Holger Steinert (FDP): "Es ist bedauerlich, dass der, der ohnehin schon im Vorteil ist, mit Tricks arbeiten muss. Der Bürgerentscheid ist in Summe gut abgelaufen. Wir sollten uns jetzt alle eine Denkpause gönnen und danach intensiv und sachlich diskutieren."

Philipp Thoma (SPD): "Wir wollen weniger Ludwig XIV. und mehr direkte Demokratie in der Kommunalpolitik. Eine Wahlbeteiligung von knapp 37 Prozent kann nicht zufriedenstellend sein. Ein Neubau auf dem Hoffartgelände ist gestorben. Wir müssen uns Gedanken über eine Alternative zur Behebung des städtebaulichen Missstandes im Umfeld des Beauner Platzes machen."

Markus Woißyk (CDU): "Über 75 Prozent der Wahlberechtigten sind dem Ansinnen einer Sanierung nicht gefolgt. Darüber müssen wir uns Gedanken machen und nach Ursachen suchen. Das Thema hat nicht alle angesprochen. Die Kernaussage steht: Bensheim braucht ein Bürgerhaus. Der Antrag vom März 2012 ist in alle Richtungen offen. Sowohl Sanierung als auch Neubau sind nach wie vor möglich. Wir als Stadtverordnete sind jetzt gefordert."

Doris Sterzelmaier (GLB): "Wir haben Respekt vor dem hohen bürgerschaftlichen Engagement. Wir haben keinen Grund, an den Aussagen des Magistrats über die Fördermittel zu zweifeln. Die Sachargumente sollten nun weiter diskutiert werden, so dass auf diesem Weg, im gemeinsamen Dialog wieder Vertrauen entstehen kann."

Joachim Uhde (BfB): Die Mehrzahl der zur Wahl gegangenen Bürger hat für den Erhalt des Bürgerhauses gestimmt. Das darf nicht unberücksichtigt bleiben."

Dass am Donnerstag nicht an der Sache gearbeitet werden konnte, lag auf der Hand. Dafür braucht es die per Antrag vom März 2012 angeforderte genaue Gegenüberstellung der Optionen. Die Verwaltung muss zunächst liefern und möglichst umfangreich Antworten auf all die Fragen finden, die in den vergangenen Monaten aufgetaucht sind.

Die parlamentarische Nachspielzeit des Bürgerentscheids erfüllte dennoch ihren Zweck. Die Kommunalpolitiker konnten vor Publikum Dampf ablassen, ihre Sichtweisen und Schlüsse noch einmal darlegen, bevor es künftig wieder darum gehen sollte, am Punkt zu debattieren. Dann dürfte sich auch zeigen, ob alle Beteiligten Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben.

Bis zu einer endgültigen Entscheidungsfindung kann die große Überschrift deshalb nur lauten: Fakten statt Emotionen - und zwar belastbare Fakten, die keinen Interpretationsspielraum lassen.

Deutlich herauszuhören, und daran müssen sich alle Akteure messen lassen: Der Wille, das Streitthema wieder auf eine Sachebene zu heben und ergebnisoffen zu diskutieren. Denn das letzte Wort in dieser Angelegenheit haben zwar die Stadtverordneten, gesprochen ist es aber noch lange nicht.

© Dirk Rosenberger, Bergsträßer Anzeiger, Samstag, 16.03.2013

 
 
 
 
diese Meldung drucken
zurück