Bürgermeister weiter in der Schusslinie
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  Bensheim. Die Oppositionsfraktionen in der Bensheimer Stadtverordnetenversammlung ziehen an einem Strang: In einer gemeinsamen Erklärung nehmen SPD, "Bürger für Bensheim" (BfB), FWG und FDP zu den aktuellen Entwicklungen im sogenannten "Architekten-Prozess" Stellung.

Rathauschef will zahlen

Bürgermeister Thorsten Herrmann hatte am Dienstag mitgeteilt, dass er persönlich für den Schaden aufkommen werde, der der Stadt Bensheim entstanden ist (wir haben berichtet). Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte Ende April entschieden, dass dem Gronauer Architekten Herbert Rohde Schadenersatz in Höhe von rund 100 000 Euro zusteht. Hinzu kommen Gerichts- und Anwaltskosten in beträchtlicher Höhe. Unklar ist zurzeit noch, ob städtische Haftpflichtversicherungen einen Großteil der Kosten übernehmen. Herrmann

Die Ankündigung des Rathauschefs den Schaden aus eigener Tasche bezahlen zu wollen, ist für die vier Fraktionen zwar begrüßenswert, aber nur der erste und zudem ein unausweichlicher Schritt zur Aufarbeitung des Vorgangs. Damit, so die Fraktionschefs Philipp Thoma (SPD), Franz Apfel (BfB), Günter Müller-Falcke (FWG) und Holger Steinert (FDP), komme Herrmann lediglich dem zuvor, was ihm sowieso gedroht hätte, "nämlich, dass ihn der Magistrat der Stadt Bensheim vollumfänglich in Regress genommen hätte, um sich nicht selbst dem strafrechtlich relevanten Vorwurf der Untreue zum Schaden der Stadt Bensheim aussetzen zu müssen".

Herrmann habe entgegen seinen öffentlichen Darstellungen auch nicht zum Wohle Bensheims und seiner Bürger handeln wollen und gehandelt, sondern aus persönlichen Motiven im Zusammenhang mit seiner geplanten Wiederwahl als Bürgermeister 2008, wie es in den Gerichtsunterlagen erwähnt wird. Erschwerend komme hinzu, dass nach seiner eigenen Aussage die Arbeiten des Architekten Rohde angeblich unbrauchbar seien, womit ein uneigennütziges Wohl für Bensheim nicht erkennbar sei.

Disziplinarverfahren einleiten

Über die Frage des finanziellen Schadens hinaus gelte es jedoch die beamtenrechtliche Seite zu untersuchen, nämlich inwieweit sich Herrmann eines Vergehens im Sinne einer groben Amtspflichtverletzung schuldig gemacht habe und ob sich daraus ein Disziplinarverfahren ergebe. Dessen Eröffnung kann die Stadtverordnetenversammlung gemäß Paragraf 75 der Hessischen Gemeindeordnung erzwingen - was in letzter Konsequenz sogar zur Amtsenthebung führen könnte. Insofern begrüßen die vier Oppositionsfraktionen den öffentlichen Vorschlag der Grünen Liste Bensheim vom 10. Mai, Herrmann möge die Einleitung eines solchen Verfahrens selbst anstoßen. Ein Bürgermeister, der sich einer groben Verletzung seiner Pflichten als Verwaltungschef schuldig gemacht habe, wäre dann allerdings nicht tragbar.

Zudem drohe Herrmann aufgrund des laufenden Ermittlungsverfahrens nach Paragraf 266 Strafgesetzbuch wegen Untreue im Zusammenhang mit den Honoraren seiner Anwälte eine Anklage, so die Oppositionsfraktionen. "Sollte es dazu kommen, wäre der Amtsinhaber nicht mehr zu halten", heißt es weiter. Aber auch wenn sich der Bürgermeister ersatzweise durch die Akzeptanz eines Strafbefehls und Zahlung einer Geldstrafe "freizukaufen" versuche, gelte er als bestraft.

Bedingungslos aufarbeiten

Außerdem müsse auch die politische Dimension bedingungslos aufgearbeitet werden, die nach Meinung der vier Fraktionsvorsitzenden für die kommunalpolitische Glaubwürdigkeit mindestens genauso wichtig sei wie die finanzielle sowie beamten- und strafrechtliche. Die politische Tragweite von Herrmanns Verhalten dürfe deshalb nicht unter den Teppich gekehrt werden, denn der Bürgermeister habe nachweislich massiven Vertrauensbruch begangen, indem er rund zwei Jahre lang an Magistrat und Stadtverordnetenversammlung vorbei agiert und trotz frühzeitigen Nachfragens der Opposition im Herbst/Winter 2008/2009 die Karten nicht aufgedeckt habe.

So hatten SPD, FWG und FDP bereits in der Stadtverordnetenversammlung am 2. Oktober 2008 einen Antrag eingebracht, wonach die Rohde-Unterlagen allen Stadtverordneten hätten zugänglich gemacht werden sollen. "Stattdessen wurde seitens des Bürgermeisters und Ersten Stadtrats abgewiegelt und versichert, dass es da nichts Nennenswertes gebe. Die Fraktionen von CDU und GLB lehnten den Antrag von SPD, FWG und FDP mit ihrer Mehrheit ab und dokumentierten bereits da schon ihren Nichtaufklärungswillen", schreiben SPD, BfB, FWG und FDP.

Die vier Fraktionsführer erwarten deshalb nicht nur die öffentliche und vollständige Aufklärung, sondern als zuerst, "dass sich Herrmann bei der Opposition in Magistrat und Stadtverordnetenversammlung in aller Form entschuldigt". Die Aufarbeitung der Affäre habe erst begonnen und sei mitnichten beendet sei, wie von Herrmann mit seiner Flucht nach vorne erhofft, bilanzieren die Oppositionsfraktionen. Es werde ganz sicher kein "Schwamm drüber" geben, dazu sei die rechtliche und politische Dimension viel zu groß. SPD, BfB, FWG und FDP behalten sich deshalb nach eigenen Angaben ausdrücklich alle inner- und außerparlamentarischen Schritte zur weiteren Nachverfolgung und Bereinigung vor. red

Bergsträßer Anzeiger, Montag, 21.05.2012

 
 
 
 
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